Offener Brief fordert Kurz zu „Taten“ gegen Rechtsextreme auf

Spitzenvertreter jüdischer und antifaschistischer Organisationen sowie KZ-Überlebende fordern Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in einem offenen Brief zur konsequenten Haltung gegenüber rechtsextremen Tendenzen in der Regierung auf. Sollte er nicht durchsetzen können, dass sich die FPÖ glaubwürdig von den rechtsextremen Identitären trennt und sonstige rechtsextreme Aktivitäten einstellt, wäre eine weitere Zusammenarbeit „untragbar“.

Ariel Muzicant (Vizepräsident des Europäischen Jüdischen Kongresses), Rudolf Edlinger (Präsident des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes), Josef Pumberger (Generalsekretär Katholische Aktion Österreich) und Willi Mernyi (Vorsitzender des Mauthausen Komitees Österreich) sowie zahlreiche KZ-Überlebende verweisen auf das aktuelle Rekordniveau an rassistischen und antisemitischen Übergriffen in Österreich.

„Kündigung von Mietverträgen reicht nicht“

„Neu und bedrohlich“ sei, dass „rechtsextreme Aktivitäten aus einer Regierungspartei kommen“, wird auf weit über 100 seit 2013 vom Mauthausen Komitee dokumentierte „Einzelfälle“ von FPÖ-Politikern verwiesen.

Die Unterzeichner begrüßen, dass Kurz zu den engen Verbindungen der FPÖ mit den Identitären klar Position bezogen habe. Aber es deute „noch wenig darauf hin“, dass sich die FPÖ glaubwürdig von dieser rechtsextremen Gruppe trenne: „Die Kündigung von ein oder zwei Mietverträgen reicht dafür sicher nicht aus.“ Deshalb müsse Kurz „seinen Worten Taten folgen lassen“, wird in dem offenen Brief appelliert.

Strache betont erneut Abgrenzung

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache betonte unterdessen erneut seine Distanz zu den rechtsextremen Identitären. „Die Identitären sind ein Verein, mit dem die FPÖ nie etwas zu tun gehabt hat“, sagte er bei einem Besuch der Justizanstalt Stein: „Ich kenne weder den Herrn Sellner noch andere, die dort in Funktionen tätig sind.“

Strache erinnerte an seine „klaren und deutlichen Worte“ am Wochenende am oberösterreichischen FPÖ-Landesparteitag. Es gebe eine Trennlinie, diese sei „seit Samstag auch zu leben“. Es gelte: „Entweder bei der FPÖ oder bei einer anderen Organisation oder Partei.“ Dass er hier klein beigegeben habe, wies Strache zurück: „Das ist ja ein Unsinn.“ Auch von einem in Sozialen Netzwerken aufgetauchten Foto, das Strache angeblich bei einem einschlägigen Event der Wiking-Jugend zeigen soll, wollte der FPÖ-Chef nichts wissen. „Ich war 1993 bei keinem Aufmarsch“, wie der FPÖ-Chef dazu sagte.

SPÖ: „Unglaubwürdig“

Die SPÖ betrachtet die Distanzierung Straches von den Identitären unterdessen weiter als „unglaubwürdig“. Das gelte auch für die „doppelzüngigen“ Aussagen von Bundeskanzler Kurz, wie SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda heute bei einer Pressekonferenz sagte. Um sich glaubwürdig von den Rechtsextremen abzugrenzen, müsste die FPÖ ihr „Handbuch“ umschreiben, merkte die Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak dazu an.

Kurz müsse für „Konsequenzen“ über Straches öffentliche Distanzierung hinaus sorgen, forderte die SPÖ-Sprecherin für Gedenkkultur, Sabine Schatz. Im Rahmen einer „Anfragenserie“ will diese unter anderem von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) wissen, welchen Kenntnisstand es beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) über die Identitären gibt. Von den FPÖ-geführten Ministerien will Schatz zudem wissen, ob und, wenn ja, welche Verbindungen es dort noch zu den Identitären gibt und zwar „von der Ministerin, dem Minister abwärts“.

Ruf nach Geheimdienstausschuss

Neben der SPÖ spricht sich auch NEOS unterdessen für eine Einberufung des Geheimdienstausschusses aus. NEOS-Sicherheitssprecherin Stephanie Krisper verwies in diesem Zusammenhang auf einen Bericht der „Washington Post“, wonach im Rahmen der Hausdurchsuchung im BVT auch hochklassifizierte Daten mitgenommen wurden, die die Verbindungen zwischen Identitären und der FPÖ belegen sollen.

Laut „Standard“ soll das BVT eine Liste mit 500 Namen von Identitären haben. Die „Mitgliederliste“ soll aus dem Jahr 2015 stammen. Geht es nach der Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch gebe es „mindestens 48 Verflechtungs- und Berührungspunkte zwischen FPÖ und Identitären“, weshalb der Ball weiter bei Kurz liege, um Konsequenzen zu ziehen.