Als der erste Notfall des Tages kommt, verwandelt sich der Stützpunkt Martin 2 im Tiroler Ort Karres in einen Bienenstock. In Minuten ist der Helikopter in der Luft und auf dem Weg zu einem Skiunfall in Sölden. Besonders an sonnigen Wintertagen ist die Tiroler Flugrettung im Dauereinsatz: Ihr Ziel sind die Landeplattformen der Spitäler. Vor allem in Innsbruck löst in der „Rushhour der Retter“ ein Helikopter den nächsten ab.
Der Grund dafür sind Alpineinsätze wie jener in Sölden. Die vier Flugretter von Heli Austria werden gerufen, weil eine junge Urlauberin aus dem Norden Europas eine andere Skifahrerin mit hoher Geschwindigkeit gerammt hat. Beide sind erheblich verletzt und müssen ins Krankenhaus. Auf der Piste löst ein Helikopter den anderen ab: Während die Retter in starkem Schneegestöber landen, wird eines der Opfer schon von einem anderen Hubschrauber abtransportiert. Beide Einsätze zusammen dürften an der 10.000-Euro-Grenze kratzen.
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Das Geschäft ist profitabel - so sehr, dass ganze sechs Betreiber darum rittern. Deswegen hat Tirol auch ein rekordverdächtig dichtes Netz an Notarzthubschraubern. Von den insgesamt 38 Stützpunkten in Österreich befinden sich 16 in Tirol. Zehn von ihnen fliegen das ganze Jahr, der Rest nur in den einsatzstarken und profitablen Wintermonaten. Damit hat das Bundesland aus Patientenperspektive ein Flugrettungsnetz, das zu den besten der Welt gehört - bei dem aber auch immer wieder die Frage hochkocht, wie viel bei dieser dichten Abdeckung Notwendigkeit und wie viel Geschäftemacherei ist.
Balanceakt hoch in der Luft
Der jungen Frau dürften finanzielle Fragen in diesem Moment egal sein. Sie hat wohl nicht nur ein gebrochenes Handgelenk, sondern offenbar auch eine schwere Gehirnerschütterung. Damit sie überhaupt in den Helikopter verfrachtet werden kann, muss Flugretter Gabriel Falkner sie mit dem Tau bergen. An das Seil geknotet und an den Heli gehängt, schweben Opfer und Retter meterhoch über der Piste. Das ist spektakulär, aber nicht ungefährlich: Jedes Skiliftseil, jeder Schaulustige ist ein Unfallrisiko.
Wie die Rettung ist auch das Flugrettungswesen in Tirol ein Balanceakt: zwischen Notwendigkeit und Luxus, Patientenversorgung und Rentabilität, Land und Privat. Auf der Piste geht jedenfalls alles glatt. Wenige Minuten später kann die Bewusstlose einem Krankenhaus übergeben werden - mit dem Auto hätte sie ins nächste Spital selbst mit Blaulicht mindestens anderthalb Stunden gebraucht. „Der Einsatz war mustergültig“, bilanziert Flugretter Simon Trott. „In solchen Situationen kann auch einiges danebengehen.“
Der Sonderstatus
Tourismus und Topografie
ORF.at/Roland Winkler
Die Konzentration in der Tiroler Flugrettung ist einzigartig: Jedes andere Bundesland kommt mit maximal fünf Stützpunkten, also nicht einmal einem Drittel, aus. Im flachen Burgenland und dem schwer zu befliegenden Wien gibt es jeweils nur einen, auch in Oberösterreich nur zwei.
Mit sechs Betreibern - dem Platzhirschen ÖAMTC sowie Wucher, Schider-Helicopter-Service, Heli-Austria, Schenk-Air und ARA Flugrettung - ist zudem eine Rekordanzahl an Betreibern im Geschäft. Mit den Worten „Tourismus und Topografie“ fasst Sprecher Johannes Schwamberger von den Tirol Kliniken die Lage in dem Bundesland prägnant zusammen.
Standorte in Österreich
Insgesamt forderte die Leitstelle Tirol die Flugrettung im vergangenen Jahr 9.367-mal an. Rund 1.500 Helikopterlandungen verzeichnet allein die Uniklinik Innsbruck jährlich. Ein Gros der Einsätze entfällt auf „internistische“ und „neurologische“ Notfälle, also Herzinfarkte und Schlaganfälle, aber auch zu schweren Verkehrs-, Haushalts- und Badeunfällen werden die Crews gerufen. Zusätzlich machen die Helis Verlegungen und transportieren Neugeborene in speziellen Brutkästen von Spital zu Spital.
Fünf Sterne auch für Unfallopfer
Dann sind da noch die Alpinunfälle, die die Situation in Tirol einzigartig machen. „Goldene“ Hubschrauber, die nahe an Skigebieten - etwa in Sölden, Hintertux und Arlberg - postiert sind, machen die Flugrettung nicht nur profitabel, sie finanzieren mit Oberschenkelfrakturen, Gehirnerschütterungen, abgestürzten Paragleitern und verunfallten Kletterern auch weniger einträgliche - aber medizinisch notwendige - Einsätze und Stützpunkte.
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Dass der Hubschrauber so oft zum Einsatz kommt, ist nicht nur der alpinen Landschaft des Bundeslandes geschuldet, die einen Abtransport auf dem Boden oft schwierig und schmerzhaft macht. Zählt man die Köpfe, nimmt die Zahl der Menschen in Tirol im Winter die Dimension einer Millionenmetropole an - allerdings mit wesentlich höherem Unfallrisiko. 46,9 Millionen Nächtigungen verzeichnete das Bundesland im vergangenen Jahr, der Großteil kommt - mittlerweile auch verstärkt im Sommer -, um Alpinsport zu betreiben.
Passiert etwas, wollen diese Gäste versorgt werden. Wie in allen anderen Lebensbereichen sei der Komfortanspruch auch im Rettungswesen gestiegen, so der ÖAMTC. Und zum Fünfsterntourismus gehöre eben auch eine entsprechende Versorgung, konstatiert auch Peter Veider, Geschäftsführer der Bergrettung Tirol. Umso mehr sind die Skigebietsbetreiber daran interessiert, dass in ihrer Nähe Hubschrauber postiert sind und bleiben. Sie sehen die Notfallversorgung als Service für ihre Gäste.
Die Retter
Kein Platz für Alphatiere
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In Innsbruck wird die Crew des ÖAMTC-Stützpunktes Christophorus 1 (C1) indes zu einem Schlaganfallpatienten gerufen. Der Automobilclub ist österreichweit und auch in Tirol der größte Player in der Flugrettung, viermal ist man im Bundesland direkt und vier weitere Male durch eine Kooperation mit dem Betreiber Wucher vertreten. C1 wurde 1983 eröffnet und war der erste in ganz Österreich, rund 700 Einsätze gibt es im Jahr.
Wider Erwarten des Unkundigen wird C1 nur selten bei Einsätzen in der Stadt alarmiert: „Höchstens, wenn jemand in den Inn fliegt“, so die Besatzung. Es sind die Straßen, Dörfer und auch hier vor allem Berge im Umkreis Innsbrucks, die auf dem Schirm der Flugretter sind. In der Landeshauptstadt selbst kann der Helikopter kaum landen, ohne sich selbst und andere zu gefährden - hier ist die Bodenrettung am Zug. Suchaktionen, Totbergungen und Mannschaftstransporte sind wiederum Sache der Polizei, die ihre „Libelle“ direkt neben C1 stationiert hat.
Rettung nach Schema
„Ein Neurologischer“, ruft Flugretter Markus Amon, nachdem er den Funkspruch von der Leitstelle entgegengenommen und den Einsatz akzeptiert hat. Er ist bereits seit 18 Jahren Flugretter, auch der diensthabende Notarzt, der Anästhesist Luca Veneri, und Pilot Jörg Schnell sind Routiniers. Veneri ist seit 14 Jahren dabei. Schnell fliegt seit 1998, ursprünglich als Transportflieger, und war bereits in 19 Ländern als Pilot tätig, darunter auch in Schottland,Uganda, den USA und Taiwan.
Die Crew arbeitet nicht immer in derselben Zusammensetzung, trotzdem versteht man einander laut Amon quasi ohne Worte: „Auch wenn es für den Außenstehenden oft spektakulär und heroisch aussieht. Die Mannschaft ist bis in das kleinste Detail standardisiert und läuft nach Schema F ab. Nur wenn das Schema stimmt, wird man den Einsatz sicher und richtig ausführen.“
Draufgänger will man keine: „Wir suchen keine ausgewiesenen Alphatiere, auch wenn sie fachlich die besten sind“, so Amon, der als passionierter Bergsteiger heuer noch in einem Solo-Speedrun den Mount Everest in Angriff nimmt und eine Karriere im Heer hinter sich hat. „Wir suchen Leute, die die Erdung haben, damit am Abend wieder jeder gut nach Hause kommt.“ Die Flugrettung ist übrigens eine Männerdomäne. Pilotin gibt es keine einzige, Retterin nur eine. Lediglich Notärztinnen sind stärker vertreten.
„Ein Haufen Zutaten“
Jeder Einsatz sei „wie eine Küche: Du hast einen Haufen Zutaten, was du für die Bergung nimmst, musst du dir aussuchen“, sagt Schnell. Es sind diese Unwägbarkeiten, die für die Retter den Reiz ausmachen. „Wenn du ins Gelände musst, das Wetter nicht passt oder du medizinisch taktieren musst, das sind herausfordernde Einsätze“, sagt auch Veneri, der nicht nur Notarzt, sondern auch Bergführer ist. Auch das ist eine Anforderung: Die Retter müssen fähige Alpinisten sein. „Ist jemand nicht geländegängig, ist er eigentlich ungeeignet“, sagt Amon.
Obwohl Sicherheit, Trainings und Standards extrem teuer seien, sind diese laut der Crew das oberste Gebot. Denn, wie Amon sagt, „der Teufel schläft nicht“. In Österreich ist es in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt zu Abstürzen von Notarzthubschraubern mit Todesopfern gekommen, zuletzt 2004. „Als Außenstehender ist es immer schwierig zu entscheiden, was das Unglück ausgelöst hat. Schlimm ist es immer, wenn etwas passiert“, so Amon.
Auch an diesem Tag greift das Prinzip, dass die Crew das letzte Wort hat, ob ein Einsatz sicher geflogen werden kann oder nicht. Ein Flug muss abgebrochen werden, denn der Nebel, neben dem Innsbrucker Fön Schrecken eines jeden Piloten, ist einfach zu dicht. Doch kaum ist der Hubschrauber gelandet, piepst das Alarmierungsgerät in den Taschen der Flugretter auch schon wieder, und binnen Minuten sind sie bei besseren Bedingungen erneut in der Luft.
Die Finanzierung
Geld für Beinbruch
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Als die Crew nach kurzem Flug durch ein nebliges Tirol und der Landung auf einem Sportplatz am Einsatzort ist, zeigt sich, dass die Anforderung eines Notarzthubschraubers durch die Sanitäter offenbar übereilt und der Schlaganfall wohl doch keiner war. Damit könnte auch der Einsatz zum Nullsummenspiel werden, denn in solchen Fällen ist es durchaus möglich, dass die Sozialversicherung im Nachhinein einen ungerechtfertigten Einsatz sieht und nicht zahlt.
Dass ein Notarzthubschrauber unnötigerweise oder übereilt angefordert wird, ist eine klassische Bruchstelle im System. Die Betreiber halten deswegen in ihren Einsatzgebieten auch eigene Kurse für jene Helfer ab, die noch am Boden Patienten entgegennehmen, etwa Pistenretter und Sanitäter.Dabei sollen diese lernen, in welchen Fällen tatsächlich eine Notarztindikation besteht und ein Helikopter notwendig ist. Denn wenn nicht der Verunglückte oder seine Begleiter selbst den Notruf absetzen, sind sie diejenigen, die den ersten Kontakt mit dem Opfer haben.
„Nichts Schlechteres für uns“
Auf Basis der Angaben der Erstversorger oder der Opfer entscheidet dann die in Innsbruck ansässige zentrale Leitstelle, ob sie wirklich einen Hubschrauber oder beispielsweise doch lieber ein Rettungsauto entsendet. Dafür wird mit Leitfäden und dem NACA-Schema gearbeitet, das Verletzungen von Unversehrtheit bis zum Tod klassifiziert. Übrigens ist es keine urbane Legende, dass bei einem Notruf auch „erschöpfte“ Alpinisten abgeholt werden müssen. Das macht aber nicht die Flugrettung, sondern die Polizei.
„Außer Schulungen zu betreiben haben wir keinen Einfluss darauf, wie viele Einsätze wir fliegen“, sagt Jochen Tiefengraber, Stützpunktleiter von C1. Die Crews ärgern solche Fälle: „Nichts Schlechteres für uns, als wenn wir einen Patienten haben, der den Flug nicht braucht, und dann kommt ein anderer rein“, sagt er. Köll plädiert etwa dafür, dass auch kleine Skigebiete Notärzte mit Entscheidungskompetenz im Einsatz haben: „Jede größere Menschenansammlung braucht einen Notarzt. Warum nicht auf der Piste?“
Bei Alpinunfall kein Cent von Kasse
Dennoch: Wenn der Schlaganfallpatient tatsächlich in Lebensgefahr gewesen wäre, wäre der Einsatz für die Flugrettung immer noch wesentlich weniger lukrativ gewesen als der Abtransport der jungen Sportlerin oder ein anderer Alpinunfall. Grund ist das Finanzierungsmodell der Rettungsflüge, bei dem ein Einsatz bei einem Oberschenkelhalsbruch um ein Vielfaches besser bezahlt wird als einer bei einem Schlaganfall.
Verunglückt ein Alpinist, zahlt seine Krankenkasse nämlich keinen Cent für die Rettung. Die Kosten werden Zusatzversicherungen und auch dem Patienten eins zu eins, also kostendeckend, in Rechnung gestellt. Je nach Einsatzdauer, Material- und Personalaufwand starten sie bei rund 2.000 Euro und können leicht in die Höhe schnellen und zur Existenzbedrohung werden. Im Extremfall sind Einsatzkosten bis in den fünfstelligen Bereich möglich, der Durchschnitt liegt bei 4.000 Euro.
1,9 Mio. Euro vom Land
Während die Betreiber bei Sportunfällen also gut verdienen, sieht es in der Grundversorgung, sprich bei medizinisch notwendigen und mitunter lebensrettenden Einsätzen, ganz anders aus.Je nach Bundesland zahlen die Kassen rund 900 Euro für solche Einsätze, bei Verkehrsunfällen etwa das Doppelte.
Zusätzlich steuert das Land in der Grundversorgung pro Patient eine Förderung bei, deren Höhe sich daran orientiert, ob die Kassen zahlen. Im Durchschnitt macht die Landesförderung 650 Euro aus. Insgesamt sind im Landesbudget dafür heuer 1,6 Mio. Euro veranschlagt. Dazu kommen noch 280.000 Euro für Flugtransporte von Spital zu Spital.
Fördersystem sorgte für Unfrieden
Bis vor wenigen Jahren bekamen den Zuschussnur bestimmte Standorte. Dieses Geld vom Land war aber mehr Fluch als Segen: Die Geförderten mussten laut dem Rechnungshof einen größeren Anteil an lebensbedrohlichen Einsätzen stemmen, hatten längere Bereitschaftszeiten und weniger lukrative Alpinunfälle. Indes zahlte auch die Krankenkasse einen Pauschalbetrag nur für bestimmte Betreiber, während sich die anderen die Einsatzkosten vom Patienten oder dessen Privatversicherung zur Gänze zurückholen konnten. Das sorgte für böses Blut - heute wird die Förderung an alle ausbezahlt.
Das Finanzierungssystem bedingt, dass die verunglückten Wintersportler - von denen lange nicht alle Notfälle sind - nach wie vor die lukrativere Variante bleiben. Dementsprechend nah wollen die Betreiber an die Skigebiete rücken. Um den Haussegen zu wahren, mussten sich alle verpflichten, auch unrentable Standorte zu betreiben.
Unversicherte Schafhirten
Versichert sind übrigens gut 95 Prozent der Geborgenen, etwa durch eine Mitgliedschaft beim Alpenverein oder den Naturfreunden, Automobilclub-Schutzbriefe oder befristete Versicherungen, die man gemeinsam mit der Liftkarte erwerben kann.
Bei den Unversichertenhandelt es sich nicht nur um ausländische Touristen, sondern auch um Tiroler, die oft die Gefahren unterschätzen: „Vor Kurzem mussten wir zwei unverletzte Schafhirten im alpinen Gelände bergen. Einer von ihnen war nicht versichert“, erzählt Benedikt Treml. Im Nachbarland Salzburg haben sogar rund zehn bis 15 Prozent der Inländer keine Bergekostenversicherung.
Dass zwei Helikopter bei einem Einsatz gelandet sind oder einer dem anderen den Patienten „weggeschnappt“ hat, soll früher durchaus vorgekommen sein - sei es wegen schlechter Organisation oder aus (finanziellem) Kalkül. Früher koordinierte nämlich nicht eine zentrale Leitstelle, sondern mehrere Bezirksleitstellen die Hubschrauber. Diese schickten vornehmlich ihren eigenen Hubschrauber - ob effizient oder nicht. „Heute läuft die Verteilung wirklich fair ab“, erzählt Köll aus dem Alltag. Der Heli, der am nächsten sei, bekomme den Einsatz - unabhängig von seiner Farbe.
Die Konkurrenz
Die zwei Seiten der Medaille
Dass sich im 12.600 Quadratkilometer großen Bundesland vor allem im Winter so viele Notarzthubschrauber tummeln, sorgt seit Jahren für Kritik - nicht zuletzt auch aus dem Inneren des Systems. Seit sich der Bund 2001 aus der Flugrettung zurückgezogen hat, hat sich die Anzahl der Stützpunkte bis heute von acht auf 16 verdoppelt, zwischenzeitlich gab es sogar noch mehr. Viele private Betreiber witterten Profit, immer wieder ist die Rede von einem „Mordsgeschäft“.
Ein Umstand, der zwei Seiten hat: Für Patienten und Versicherungen bedeutet die hohe Anzahl an Hubschraubern eine bessere Versorgung, kürzere Wege und damit auch geringere Einsatzkosten. Die große Anzahl an Betreibern bedeutet aber auch, dass sich die Firmenin wesentlich härterer Konkurrenz befinden, wodurch auch der Kostendruck steigt- gerade im Rettungswesen ein heikles Thema.
Nur die Hälfte Notfälle
Denn um die Kosten des laufenden Betriebs zu decken und sicherzustellen, dass das Geschäft rentabel bleibt, braucht es möglichst geringe Stehzeiten, aber auch Förderungen und entsprechend hohe Einsatzzahlen - und je mehr Konkurrenz man hat, desto schwieriger wird das, und desto größer wird der ökonomische Druck.
Dieser führte auch zum heftig kritisierten Umstand, dass die Hubschrauber bei Weitem nicht nur bei lebensbedrohlichen Situationen gerufen wurden. Laut einer Erhebung der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) für das Jahr 2013 waren 49,1 Prozent der Einsätze keine Notfälle.
„Gipshaxn“-Einsatz keine Legende
Auch abseits von Papieren will niemand leugnen, dass nicht alle Einsätze unbedingt einen Notarzthubschrauber brauchen - der klassische „Gipshaxn“-Einsatz ist mehr als eine Legende. Nicht selten transportiere man auch Personen ab, die - wenn auch schmerzhafter und meist langwieriger - auf dem Boden ins nächste Krankenhaus gebracht werden könnten. Und gelegentlich kommt der Heli auch zum Einsatz, obwohl der Transport in der Luft nur unwesentlich schneller abgewickelt werden kann.
Für die Crews entsteht daraus ein Dilemma: Je mehr Rettungsmittel und weniger kritische Einsätze es gibt, desto schlechter seien die Besatzungsmitglieder im Endeffekt auf echte Notfälle vorbereitet. „Die Crews verlieren an Skills, weil einfach die Übung nicht da ist“, sagt Veneri. „Das On-the-Job-Training ist definitiv geringer“, pflichtet Amon ihm bei: „Das sind die zwei Seiten der Medaille.“
„Optimalzustand“ für Patienten
Aus menschlicher Sicht ist die Kritik am engen Hubschraubernetz stets ein zweischneidiges Schwert. Für Patienten ist die Lage in Tirol „der Optimalzustand“, hört man immer wieder. „Die Schwerstverletzten hier haben ein wahnsinnig gutes Überleben. Während in den USA bei entsprechendem Verletzungsgrad 25 Prozent sterben, sind es bei uns zehn bis 15 Prozent“, so Treml. Auch das Land betont das hohe Versorgungsniveau „für die Bevölkerung und die zahlreichen Gäste“.
Zudem erspart die Flugrettung es alpinen Unfallopfern, dass sie langwierig verletzt ins Tal gebracht werden müssen. Veider, dessen Bergrettung viele schwierige Bergungen auf dem Landweg abwickelt, ist der Meinung, dass die Verhältnismäßigkeit den Nutzen bringt: Bei entsprechenden topografischen Bedingungen könne auch die Luftrettung eines Leichtverletzten sinnvoll sein. „Solange das System leistbar bleibt und Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden, muss man es positiv sehen.“
Auch gebe es Spitzenzeiten, etwa zu Weihnachten, zu denen tatsächlich alle Helikopter in der Luft seien, ganz zu schweigen von außergewöhnlichen Einsatzszenarien wie Lawinenunglücken. Zwei Fragen kommen trotzdem immer wieder auf: Wie viel ist der Gesellschaft die gute Versorgung wert? Und wie lange kann man sich das noch leisten?
Die Zukunft
Von fragil bis stabil
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In den vergangenen Jahren hat es in der Flugrettung immer wieder Sand im Getriebe gegeben. Neben Finanzierungsfragen und Konkurrenzkämpfen empfahlen Experten wiederholt, die Anzahl der Stützpunkte zu reduzieren.
Im Jahr 2012 fällte der Rechnungshof ein scharfes Urteil: Aus wirtschaftlicher Sicht leide das Flugrettungswesen an einer Überversorgung und geringer Effizienz, hieß es in dem Bericht. Kritik, die für das Land nicht mehr gültig ist: Die vom Rechnungshof angeprangerten Missstände seien vor allem eine Folge der mittlerweile beseitigten Ungleichbehandlung zwischen geförderten und nicht geförderten Standorten gewesen.
Allerdings sah der Rechnungshof auch erhebliche Auslastungsprobleme. Eine vom Land in Auftrag gegebene Bedarfserhebung der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) schlug in dieselbe Kerbe undempfahl 2015 ebenfalls eine Reduktion auf 13 Standorte mit sechs oder sieben ganzjährig stationierten Helikoptern.
Neue Friedensvereinbarung
Eine harte Maßnahme, die wohl nicht erfolgen wird. Grund dafür ist vermutlich auch eine Friedensvereinbarung, die nach einer 2014 ausgebrochenen Auseinandersetzung zwischen den Betreibern geschlossen wurde. Bei dem Streit ging es darum, dass Roy Knaus' Heli Austria überraschend in Mayrhofen im Zillertal einen weiteren Stützpunkt eröffnete - im ersten Anlauf ohne alle nötigen Genehmigungen. Der Schritt sorgte für große Empörung bei den Mitbewerbern. ÖAMTC und Schider, die das Gebiet bis dahin abgedeckt hatten, drohten dem Land in der Folge mit einer Auflösung der ohnehin mit Ende 2015 auslaufenden Flugrettungsvereinbarung.
Aufgrund der fehlenden Genehmigung ließ die Landesregierung den Knaus-Stützpunkt im Zillertal zwischenzeitlich schließen, worauf Heli Austria den Notarzthubschrauber neben dem Stützpunkt in der Luft kreisend auf Einsätze warten ließ. Das goss weiteres Öl in das Feuer des Streits. Die offensichtlich verärgerte Landesregierung sah das Land in Misskredit gebracht undwies schließlich die Leitstelle an, keine Einsätze mehr an kreisende Hubschrauber zu vergeben.
Auch weil bei den folgenden Verhandlungen keine Vereinbarung zu einer Stützpunkt-„Obergrenze“ geschlossen werden konnte, drohte das Land nun an, die Flugrettung im Frühsommer 2015 „gesetzlich verankern“ und neu ausschreiben zu wollen. Für die Betreiber stand damit der Einzug von billiger Konkurrenz aus dem Ausland am Horizont. Zwei Bietergemeinschaften formierten sich: zum einen Heli Austria, die eine Partnerschaft mit einem internationalen Anbieter erwog, zum anderen der ÖAMTC und die anderen in Tirol tätigen Betreiber.
Ausschreibung für die Schublade
Aus der Ausschreibung wurde aber nichts, sie landete in der Schublade. Denn in einem überraschenden und geeinten Schritt lenkten die Flugretter ein und boten dem Land letztlich geschlossen an, die bisher geltende freiwillige Leistungsvereinbarung zu den bestehenden Konditionen bis 2023 zu verlängern.
ÖAMTC und Co. akzeptierten den Stützpunkt in Mayrhofen, dafür zog Knaus die Anträge für drei weitere Helistützpunkte zurück. Für das Land sind nun weder „Neuordnung“ noch Stützpunktreduktion ein Thema. Man sei mit der Einigung „sehr zufrieden“ und betont, dass weniger Notarzthubschrauber eine schlechtere Versorgung bei gleichbleibenden Kosten bedeuten würden.
Damit dürfte vorerst für Frieden gesorgt sein. Zudem haben sich auch an anderen Fronten die Wogen geglättet: Seit 2015 berappen die Krankenkassen für medizinisch notwendige Einsätze Pauschalbeträge, egal welche Firma fliegt. Das Land fördert nicht mehr nur einzelne Betreiber, sondern jeden Flug. Zudem werden die Hubschrauber heute zentral von der Leitstelle in Innsbruck disponiert, womit Kompetenzrangeleien zwischen den Bezirken vermieden werden.
16 und nicht mehr
All das, so glaubt man in der Flugrettung, wird den Markt mittelfristig regulieren. Aber auch wenn sich die Situation vorläufig erst einmal entspannt hat: Mit dem Wildwuchs an Flugrettungsfirmen, den das Land kritischen Stimmen zufolge verschlafen hat, muss man heute trotzdem leben. Die Entscheidung, ob und welcher Stützpunkt bleibt, ist nämlich keinem Regulativ unterworfen außer dem Markt. Und eine verbindliche Regelung gibt es weiterhin nicht.
„Es ist ein vordergründig fragiles, aber aufgrund der Umstände stabiles System“, sagt Stützpunktleiter Tiefengrabner zur aktuellen Situation. Mehr Stützpunkte als jetzt dürfe es in den kommenden Jahren allerdings nicht mehr geben. Er glaubt, dass mit den 16 Hubschraubern ein „verträgliches Maß“ gefunden worden sei und dass sich der Betrieb in den kommenden Jahren, so der Tourismus bleibt, stabil weiterentwickeln werde. „Würde es einen Betreiber geben, der noch drei Stützpunkte hinstellt, würde das System kippen“, so Tiefengrabner - „und das weiß auch jeder.“
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Saskia Etschmaier (Text), Roland Winkler (Foto und Video), Peter Pfeiffer (Grafik), alle ORF.at